Social Media-Charaktere.
Kommunikationsmuster und Nutzercharakteristika auf Business-Plattformen am Beispiel von XING.
Von Prof. Dr. Alfred-Joachim Hermanni
05.01.2016 / Überarbeitung 2022
Abstract
Soziale Netzwerke wie XING und LinkedIn spielen eine zunehmend zentrale Rolle im beruflichen Kontext, insbesondere als Kommunikations-, Marketing- und Vertriebsinstrumente. Trotz vorliegender soziodemografischer Daten existiert bislang wenig empirisch fundiertes Wissen über die typischen Verhaltensmuster von Nutzern solcher Plattformen im Rahmen von Social Media-Events. Der vorliegende Beitrag stellt die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung vor, die mittels standardisierter Interviews mit 150 XING-Nutzern durchgeführt wurde (vgl. Kromrey, H. et al. (2016).
Es konnten vier prototypische Nutzergruppen identifiziert werden: „Schnelle Verkäufer“, „Business-Kontakter“, „Event-Hopper“ und „Partner-Surfer“. Diese Charaktere unterscheiden sich in ihren Motivationen, Kommunikationsstilen sowie ihrer Netzwerkkompetenz und stehen oftmals in einem spannungsreichen Verhältnis zueinander. Die Studie leistet einen Beitrag zur Typisierung von Social Media-Nutzern im geschäftlichen Umfeld und bietet Anknüpfungspunkte für weiterführende Forschung.
1. Einleitung
Business-Plattformen wie XING und LinkedIn gewinnen zunehmend an Bedeutung für die Pflege geschäftlicher Kontakte sowie als Instrumente zur Vermarktung und Eventorganisation. Dies wirft die zentrale Frage auf, welche Nutzergruppen sich auf diesen Plattformen engagieren und wie deren Kommunikationsverhalten strukturiert ist. Bislang konzentriert sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung primär auf soziodemografische Merkmale (vgl. Neuberger & Langenohl, 2019; Wellbrock & König, 2022), während Erkenntnisse zu spezifischen Nutzungsgewohnheiten insbesondere im Kontext von Live-Events fehlen. Hier setzt der vorliegende Beitrag an, indem er typische Nutzercharaktere identifiziert und klassifiziert.
2. Theoretischer Hintergrund
Business-Netzwerke lassen sich als hybride Plattformen beschreiben, die sowohl digitale als auch analoge Interaktionen ermöglichen (Krotz & Hepp, 2018). Während LinkedIn global agiert, fokussiert sich XING primär auf den deutschsprachigen Raum. Der Plattformnutzung liegt eine Vielzahl von Motivationen zugrunde, die zwischen beruflichen und privaten Interessen changieren. In der Forschung werden dabei Netzwerkbildung (Ellison et al., 2007), Selbstpräsentation (Meier, 2020) sowie soziale Kapitalkonstitution (Putnam, 2000) als zentrale Funktionen diskutiert. Eine systematische Typisierung der Nutzer sozialer Business-Plattformen steht jedoch bislang aus.
3. Methodik
3.1 Untersuchungsdesign
Im Zeitraum von Januar bis August 2015 wurden im Rahmen mehrerer XING-Events standardisierte Interviews mit 150 zufällig ausgewählten Plattformnutzern durchgeführt. Ziel war es, wiederkehrende Charakteristika von Social Media-Nutzern zu erfassen und diese anhand typischer Verhaltensmuster zu systematisieren.
3.2 Datenerhebung
Als Moderator einer XING-Gruppe mit über 5.000 Mitgliedern verfügte der Autor über direkten Zugang zu potenziellen Interviewpartnern. Der Fragebogen umfasste neben soziodemografischen Daten (Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, Einkommen) insbesondere Fragen zu Nutzungsverhalten und Motivation. Die Antworten erfolgten dichotom (Ja/Nein). Vor der Hauptbefragung wurde ein Pretest durchgeführt, um Validität und Verständlichkeit der Items sicherzustellen.
4. Ergebnisse
Die Analyse der Interviews ermöglichte die Differenzierung der Befragten in vier charakteristische Gruppen, die nachfolgend skizziert werden (s. auch Abbildung 1).
Bemerkenswert ist, dass viele Nutzer zwischen beruflicher und privater Gruppenzugehörigkeit wechseln, je nach Art der Veranstaltung. Zudem zeigte sich eine Spannungsdynamik zwischen den Gruppen: So lehnen Business-Kontakter schnelle Verkäufer häufig als „unseriös“ ab, während Event-Hopper und Partner-Surfer von Business-orientierten Nutzern gemieden werden. Eine zentrale Erkenntnis betrifft die Netzwerkkompetenz: Business-Kontakter und schnelle Verkäufer sind signifikant stärker vernetzt als die übrigen Gruppen, sowohl auf der Plattform selbst als auch im Rahmen persönlicher Interaktionen.
Abbildung 1: Social Media Charaktere
(Quelle: Hermanni, A.-J.: 2015/Überarbeitung 2022)
5. Diskussion
Die Untersuchung liefert erste empirisch fundierte Hinweise darauf, dass sich Nutzer von Business-Plattformen in klar unterscheidbare Charaktertypen kategorisieren lassen. Diese Typisierung eröffnet nicht nur Perspektiven für die Weiterentwicklung kommunikationswissenschaftlicher Theorien zur digitalen Netzwerkbildung, sondern liefert auch praxisrelevante Implikationen für das Event- und Community-Management von Business-Plattformen.
Einschränkend ist anzumerken, dass die Studie ausschließlich XING-Nutzer im deutschsprachigen Raum untersucht hat und somit eine Übertragbarkeit auf andere Plattformen nur bedingt möglich ist. Weiterführende Forschungen könnten hier ansetzen und plattformübergreifende sowie internationale Vergleiche vornehmen.
6. Fazit
Mit der vorliegenden Studie konnte ein erster systematischer Ansatz zur Typisierung von Social Media-Charakteren auf Business-Plattformen vorgelegt werden. Die Differenzierung in vier prototypische Gruppen bildet eine Grundlage für zukünftige Forschungen im Spannungsfeld von beruflicher Kommunikation, Netzwerkbildung und digitaler Sozialisation. Eine empirische Untersuchung des Forschungsgegenstandes im Sinne einer theoretisch fundierten und systematischen Analyse konnte jedoch nicht geleistet werden.
Davon ausgehend war bei diesem Forschungsprozess auch nicht von Relevanz, wie viele Personen den vier Personenkreisen zuzuordnen sind. Gleichwohl verdeutlicht das Ergebnis, welche wesentlichen Personenkreise substanziell in den Businessnetzwerken aktiv sind. Allerdings sind weitere Forschungen erforderlich, um die theoretischen Ansätze und die angewandte Methode zu prüfen. In diesem Zusammenhang sollte auch eine hinreichend große, repräsentative Stichprobe gezogen werden.
Literaturverzeichnis
Ellison, N. B., Steinfield, C., & Lampe, C. (2007). The benefits of Facebook "friends": Social capital and college students' use of online social network sites. Journal of Computer-Mediated Communication, 12(4), 1143–1168.
Kromrey, H. et al. (2016). Empirische Sozialforschung. Modelle und Methoden der standardisierten Datenerhebung und Datenauswertung mit Annotationen aus qualitativ-interpretativer Perspektive. Auflage 13. Stuttgart: UTB.
Krotz, F., & Hepp, A. (2018). Mediatisierung: Fallstudien zum Wandel von Kommunikation. Springer VS.
Meier, A. (2020). Digitale Selbstpräsentation in sozialen Netzwerken. In: Bentele, G., Piwinger, M. & Schönborn, G. (Hrsg.): Handbuch Public Relations. Springer Gabler.
Neuberger, C., & Langenohl, A. (2019). Digitale Öffentlichkeit: Plattformen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Medien & Kommunikationswissenschaft, 67(3), 302–321.
Putnam, R. D. (2000). Bowling Alone: The Collapse and Revival of American Community. Simon & Schuster.
Wellbrock, C., & König, M. (2022). Die Rolle digitaler Plattformen in der beruflichen Netzwerkbildung. Publizistik, 67(2), 147–165.