Wissensbank für Medien & Kommunikation

Krisenkommunikation im Internet.

Von Prof. Dr. Alfred-Joachim Hermanni

09.07.2023


Warum nutzen User und Unternehmen das Social Web?

1. Mehr als 40% der Weltbevölkerung (rund 3 Mrd. Menschen) sind Social Media-Nutzer und somit Teil einer virtuellen Gemeinschaft.
2. Tägliche Nutzungsdauer mehr als 3 Stunden, insbesondere bei Generation Millennials.
3. Die Social-Media-Kanäle stellen für Organisationen nicht nur eine neue Art von Marketingform dar, sondern eignen sich als PR-Instrument und zur Erreichung vielfältiger Unternehmensziele wie Employer Branding und HR-Recruiting.
4. Durch Social Media  existiert erstmals ein Rückkanal zu Organisationen, Institutionen und Medien. Dadurch werden aber auch Angriffsflächen geboten.
5. Artikel 5 des Grundgesetzes animiert zur Meinungsäußerung: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ 


Social Media Monitoring: Das Netz verzeiht keine Fehler und löst ein Medienecho aus.
Das Leugnen von Fehlern verschafft einem Shitstorm einen erneuten Antrieb. Infolge der negativen Schlagzeilen führte es bei den meisten Unternehmen zu einem vorübergehenden Imageschaden. Im Weiteren zu kurzzeitigen Gewinnverlusten sowie einem vorübergehenden Aktieneinbruch bei größeren Konzernen. Authentizität bewahren: Das fehlende Aufzeigen einer klaren Haltung seitens des betroffenen Unternehmens gegenüber der Empörungswelle/der Kritik befeuert den digitalen Protest erneut. Eine Reaktion seitens des Unternehmens ist wichtig und sollte bei berechtigtem Anlass auch Kriterien wie Verständnis (für die Kritik) und Entschuldigung (für den Fehler) ausdrücken.


Erkenntnisse zum Phänomen Shitstorm.
Der Auslöser für einen Shitstorm kann online oder offline auftreten. Die führenden Plattformen für den Ausgangspunkt einer digitalen Empörungswelle bilden Facebook und Twitter (jetzt X). Nur selten äußert sich der Unmut der Internetuser auf den Webseiten eines Unternehmens. Die akute Phase (maximal 10 Tage) entscheidet über den Verlauf einer digitalen Empörungswelle. Die treibende Kraft hinter einem Shitstorm ist zumeist der Initiator. Zu den Auslösern eines Shitstorms (Sender) zählen häufig Menschenrechtler, Tierschützer, unzufriedene Kunden oder Personen, deren moralische Regeln verletzt wurden. In diesem Kontext wichtige Hinweise:

  • Der Begriff „Shitstorm“ wurde von dem Blogger Sascha Lobo auf der Web-2.0-Konferenz re:publica im April 2010 erstmals verwendet.
  • Beim digitalen Informationsaustausch kann es zu Missverständnissen und Fehldeutungen bei Interpretationen kommen, da die nonverbalen Ebenen zur Kontrolle fehlen (Mimik, Gestik, Proxemik).
  • Anonymität im Netz verführt zu radikalen Äußerungen. Man ist nicht nur namenlos, sondern auch gesichtslos.
  • 36% der privaten Internetnutzer nehmen oft beziehungsweise sehr oft Hass-kommentare wahr; bei Personen im Alter von 14 bis 24 Jahren geben 61% an, auf Hasskommentare zu stoßen (Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen).
  • Beleidigungen und Hasskommentare können im Anschluss an ein Ereignis bzw. an eine Kommunikation in Echtzeit und unreflektiert geäußert werden.
  • Die Phasen eines Shitstorms variieren [vgl. Schwede, B./Graf, D. (2012) in Anlehnung an die „Beaufortskala“ zur Windgeschwindigkeit].


Shitstorm – Auslöser. 

Der Mensch als solcher ist ein kompliziertes Wesen:

  • Auslöser eines Shitstorms sind zumeist schriftliche Meinungsäußerungen oder visuelle Postings in einem sozialen Netzwerk, publiziert durch eine Person des öffentlichen Lebens oder durch eine Organisation.
  • Urteil eines unzufriedenen Kunden zu einem Produkt oder einer Dienstleistung, weil diese/s nicht den Erwartungen entsprechen.
  • Nutzer entdecken einen Missstand und kommunizieren diesen, z.B. auch eine schlecht geratene Photoshop-Retusche (Beispiel Kardashian).
  • Situationen oder Entscheidungen, die als falsch empfunden werden, weil sie nicht den Idealvorstellungen der Menschen entsprechen (moralische, private Dimension).
  • Weil etwas Schäden verursacht bzw. inakzeptable Risiken birgt.
  • Weil etwas (z.B. eine Geschäftsidee) nicht den erwarteten Ertrag bringt.


Häufig werde ich gefragt, wie Unternehmen am besten auf einen Shitstorm reagieren sollten. Es lässt sich im Allgemeinen keine einheitliche Vorgehensweise empfehlen, da jedes Ereignis oder jeder Auslöser individuell bewertet werden muss. Dennoch haben sich vier Empfehlungen als wirksam erwiesen, wie in der Abbildung dargestellt: zügige Reaktion, Beibehaltung der Authentizität, angemessenes Vorgehen bei berechtigter Kritik und bei Rechtsverstößen.


Abb. 1: Reaktionsempfehlungen bei einem Shitstorm

Quelle: Hermanni, Alfred-Joachim (2019)


Grenzen der Meinungsfreiheit (vgl. auch Reiter Hate Speech der Wissensbank)

(1) Das Internet ist kein rechtsfreier Raum.
(2) „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre“ (vgl. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art 5, Absatz 2).
(3) Die Anonymität hat eine Beschränkung und diese ist bei der Verletzung der Rechtsnormen erreicht (s. auch Medienrecht).


Reflexion und Ausblick.

  • Die Anonymität im Internet lädt zum Sinken der persönlichen Hemmschwelle bei einer Auseinandersetzung ein.
  • Durch unangemessene Aktivitäten versuchen manche User auf sich aufmerksam zu machen (auch durch Provokationen).
  • Mit der fortschreitenden Eskalation des Konflikts verschiebt sich die Kommunikation von der Sachdimension auf die persönliche Ebene.
  • Vermeiden Sie, dass aus einer „Bagatelle“ kein Schneeball-Effekt wird (zügig und ausreichend antworten erspart Ärger).
  • Der Sturm der Entrüstung entwickelt sich rasend schnell, klingt aber in der Regel genauso schnell wieder ab.
  • Die Corporate Identity und der Zusammenhalt eines Unternehmens schützen vor externen Angriffen.

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Quellen zum Nachlesen (Stand 2018)

Beham, F. (2015): Corporate Shitstorm Management. Konfrontationen im Social Web professionell managen. Wiesbaden.
Brodning, I. (2016): Hass im Netz. Wien.
Gronau, C. et al. (2017): Shitstorm als Social Media-Phänomen. Norderstedt.
Katzer, C. (2014): Cybermobbing – Wenn das Internet zur Waffe wird. Berlin und Heidelberg.
Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (2018), Umfrage zur Wahrnehmungs-häufigkeit von Hasskommentaren im Internet nach Alter 2018, Düsseldorf. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/808263/umfrage/umfrage-zur-wahrnehmungshaeufigkeit-von-hasskommentaren-im-internet-nach-alter
Salzborn, C. (2017): Phänomen Shitstorm. Baden-Baden.
Solmecke, C. (2016): Social Media Recht. Nürnberg.
Sponholz, L. (2018): Hatespeech in den Medien. Wiesbaden.
Steinke, L. (2014): Bedienungsanleitung für den Shitstorm. Wiesbaden.