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Medienpolitik

Von Prof. Dr. Alfred-Joachim Hermanni

1   Einführung

In modernen Demokratien geht es den Parteien zunächst um die Formulierung, Vermittlung und Durchsetzung ihrer Aufgaben und Ziele. Dabei erfahren sie im Zuge kooperierender und konkurrierender Interessen unterschiedlich hohen Konsens, aber auch Konflikt im Dialog mit anderen Parteien, den Massenmedien, Interessenorganisationen etc., die wiederum ihre eigenen Anliegen in Form von Forderungen an die Politik stellen. Neben den drei Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative gelten die Medien heute als vierte Macht im Staat, denn sie berichten nicht nur über die drei Säulen der Demokratie, sondern kontrollieren sie.[1] In diesem Zusammenhang sprechen Alemann und andere Wissenschaftler von einer „Mediokratie“, die den heutigen Massenmedien zumindest den Status einer Vierten Gewalt, wenn nicht sogar einer mit-herrschenden Übergewalt zuweist.[2] Gegenüber der legislativen Politik besitzen die Medien zudem einen immensen Vorteil, indem sie über ihre intermedialen Vertriebswege unmittelbar thematisieren und politisieren können und somit als die gesellschaftlich einflussreichste Berufsgruppe nach der Politik einzustufen sind. Dies ist einer der wesentlichen Gründe, weshalb die Parteien versuchen, die „Übermacht“ der Medien ­– gerade im fernsehpolitischen Diskurs – über Aufsichtsgremien oder durch Personalentscheidungen zu steuern.

Mit Blick auf „unzureichende“ bzw. „diffuse“ Wirkungsbedingungen bezweifeln hingegen Autoren wie Ronneberger, dass die Medien einen Machtfaktor bilden, weil ihnen kein wirksames Sanktionspotential zur Verfügung steht.[3] Diese These erscheint indes fragwürdig, denn wenn z.B. ein ein-flussreiches Medium mit millionenfacher Wahrnehmung – wie die „ARD-Tagesschau“ – positive Leistungen eines Politikers dauerhaft verschweigt oder eine Person kontinuierlich mit negativen Schlagzeilen versieht, dann erleidet der betreffende Politiker höchstwahrscheinlich einen Imageschaden, weil er in den Augen einer zahlenmäßig starken Teilöffentlichkeit nicht mehr existent oder aufgrund einer „negativen“ Bilanz abzulehnen ist.[4] Folglich ist das Sanktionspotential „Publizität“ beim Fernsehen mit seinem „Nimbus der Allmächtigkeit“, abgeleitet aus großer Reichweite und hoher Akzeptanz, in vielen politikträchtigen Sendungen durchaus vorhanden. 

Spätestens seit Machiavelli, dem geschichtswissenschaftlichen Kanzler der Republik Florenz, wissen wir, dass die in der politischen Kommunikation praktizierte Macht- und Interessensphäre über Geheimnisse, zu denen heute auch der wechselseitige, vertrauliche Informationsaustausch zwischen Politik und Fernsehen zählt, eine Form des Regierens bedeutet: „(…) mit Klugheit und Menschlichkeit so gemäßigt zu Werke gehen, dass weder zu großes Vertrauen ihn unvorsichtig, noch zu großes Misstrauen unleidlich mache.“[5] Und kein Geringerer als Friedrich II. von Preußen („der Große“) lenkte seine Staatsgeschäfte im Eigeninteresse nach machtgeordneten Regeln, auch wenn er im Widerspruch dazu diese Machtausübung in Phasen der humanitären Vernunft zu disziplinieren versuchte. Unter dem Eindruck historischer Konfliktsituationen bestätigt Weber, dass in bürgerlichen Gesellschaften „durch Geheimhaltung der Absichten, gefassten Beschlüsse und Kenntnisse der Herrschenden“ Macht gewonnen, erhalten und gesteigert wird „gegenüber den beherrschten ‚Massen’.“[6]/[7]

2   Medienpolitik = Machtpolitik

Heutzutage stehen Medienfragen aufgrund der ihr zugeordneten Wirkungskräfte im Mittelpunkt parteipolitischer Debatten, weshalb sich vorrangig die Spitzengremien der Parteien (wie Präsidium, Bundesvorstand, Ausschüsse auf Bundesebene) intensiv mit den daraus abzuleitenden machtspezifischen Entwicklungen befassen. Dabei dürften kaum Zweifel bestehen, dass dem Fernsehen seitens der Parteien ein höherer Stellenwert als anderen Medien zugewiesen wird; wissenschaftliche Untersuchungen liegen hierzu längst vor.[8] Es ist daher anzunehmen, dass Luhmanns Befund über die Summe von Mitteln und Fähigkeiten, Macht zu demonstrieren, zutrifft: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“[9] Faulstich merkt zu dem Gebrauchswert der Medien an, dass ein politisches Machtsystem zunehmend auf Medieneinfluss und weniger auf demokratischer Legitimierung basiert.[10]  Gerade deshalb gilt es in der Epoche „Telekratie“ besonders zu untersuchen, ob und inwieweit die programmatischen Forderungen der Parteien aus den 80er Jahren in verfassungsrechtliche Mediengrundlagen wie Rundfunkgesetze ein-gebracht wurden und inwieweit der Parteieneinfluss auf die Gestaltung der Fernsehlandschaft mit der Addition privater Anstalten größer oder kleiner geworden ist.

Hinzu kommt, dass sich beide Seiten – Politik wie Massenmedien – als mächtige Akteure verstehen, denn sie können unabhängig voneinander beispielsweise bestimmen, welche Themen zu welchem Zeitpunkt einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden und welche Personen an kommunikativen Willensbildungsprozessen zu beteiligen sind. Langenbucher stimmt dieser Annahme zu, resümiert aber zugleich, dass die verfassungsrechtlich abgesegnete Vorstellung von einer Kontrollfunktion der Medien durch die politische Kontrolle der Medien langfristig kaschiert wurde, so dass es letztlich um einen Machtkampf verschiedener Kontroll-ansprüche geht.[11] Ähnlich sieht es Ludes und nennt Beispiele für Machtbasen, die in der Wirkungsforschung anerkannt sind: „(…) Kontrolle der Massenkommunikationsmittel; hoher sozialer Status; Wissen; Popularität; hochgeschätzte persönliche Fähigkeiten; Legalität; gruppenspezifische Solidarität und Abgrenzung der Gruppe mit besonderen Wir-Idealen von anderen; Wahlrecht; die Möglichkeit, mit anderen zusammen-zukommen (…).“[12] Bei dieser Aufzählung fällt auf, dass die genannten Eigenschaften im Idealfall das Profil eines einflussreichen Politikers verkörpern, der auch mediale Informations-prozesse im Zuge seiner Herrschaftsausübung steuern kann. Ronneberger geht insofern zu Recht davon aus, dass ein in einer Regierungsverantwortung stehender Parteienvertreter „hinsichtlich der Thematisierungsfunktion in der öffentlichen Kommunikation prinzipiell überlegen ist.“[13] Aus dem Blickwinkel der Parteizentralen stehen vier Einflussrichtungen optional zur Verfügung, um z.B. medienpolitische Anliegen qua Gesetzentwurf, politisches Agreement und/oder Politik-Marketing zur Entscheidung zu führen (vgl. Abb.).

Abb. Medienpolitische Einflussrichtungen der Parteien (Quelle: Hermanni, Alfred-Joachim: 2008)

[1] Kognitiv betrachtet ist es letztendlich ein Fünfgestirn, das Macht ausübt: Neben den vier erwähnten Gewalten stehen die Bürger, die in regel-mäßigen Abständen im Zuge von Wahlen Macht auf Zeit vergeben. Hierbei stellt Sarcinelli fest, dass in demokratischen Regierungssystemen Macht keine dauerhafte Größe darstellt: „Sie gründet vielmehr auf Meinungen und bedarf der steten kommunikativen Erneuerung.“ (Sarcinelli, Ulrich 2003, S. 2) „Stet“ meint bezogen auf die Politik, dass sie von heute auf morgen verloren sein kann, etwa durch das Votum der Wahlberechtigten für eine veränderte Regierungskonstellation, durch ein parlamentarisches Misstrauensvotum gegenüber einem Bundeskanzler oder Ministerpräsidenten, die vorgezogene Abwahl einer Regierung oder die erzwungene Abberufung oder den freiwilligen Rücktritt eines Politikers.
[2] Vgl. Alemann, U. von: Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland: Kurseinheiten 1-3. FernUniversität Hagen 2000, S. 112.
[3] Vgl. Ronneberger, F.: Das Syndrom der Unregierbarkeit und die Macht der Medien. In: Nürnberger Forschungsvereinigung (Hrsg.): Abschiedsvorlesung in der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität. Erlangen-Nürnberg 1983, S. 12ff.
[4] Vgl. Noelle-Neumann, E.: Walentscheidung in der Fernsehdemokratie. Freiburg-Würzburg 1980.
[5] Machiavelli, N.: Il Principe, Firenze 1532. In der Übersetzung von: Regis, G. (1842): Der Fürst des Niccolò Machiavelli, Stuttgart 1842, S. 68.
[6] Vgl. Weber, M.: Wirtschaft und Gesellschaft – Grundriss der verstehenden Soziologie. Fünfte, revidierte Auflage. Tübingen 1972, S. 548.
[7] Auf der historischen Suche nach einer „Geheimhaltungs- und Täuschungskunst“ wird man in der Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts fündig (z.B. bei Gracián y Morales, Baltasar: El Criticón oder bei Bacon, Francis: Essays moral, economical and political).
[8] Forschungen zur „Macht des Fernsehens“ z.B. von Lippmann, Walter 1922; Noelle-Neumann, Elisabeth 1979; Kunczik, Michael 1990; Berg, Klaus/Kiefer, Marie-Luise (Langzeitstudien zur Mediennutzung und Medienbewertung) ab 1964; Kepplinger, Hans-Mathias 1994; Wolling, Jens 1999; Stolte, Dieter 2004; Hall, Peter Christian 2007.
[9] Luhmann, N.: Die Realität der Massenmedien. Opladen 1996, S. 9.
[10] Vgl. Faulstich, W.: Einführung in die Medienwissenschaft. München 2002, S. 231.
[11] Vgl. Langenbucher, W. R.: Gegenwärtige Trends der politischen Kommunikation. In: Saxer, U. (Hrsg.): Politik und Kommunikation. Neue Forschungsansätze. München 1983, S. 39.
[12] Ludes, P.: Einführung in die Medienwissenschaft. Entwicklungen und Theorien. Berlin 1998, S. 150.
[13] Ronneberger, Franz 1989, S. 151.

Professor Hermanni verfasste 2008 eine Publikation zum Thema Medienpolitik in den 80er Jahren – Machtpolitische Strategien der Parteien im Zuge der Einführung des dualen Rundfunksystems. © Hermanni, A.-J. 2008 www.wissensbank.info

 

VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008 
https://www.springer.com/de/book/9783531154435

 

 

 

 

Rezensionen (u.a.) zum Buch “Medienpolitik in den 80er Jahren. Machtpolitische Strategien der Parteien im Zuge der Einführung des dualen Rundfunksystems”

“Ich bin beeindruckt von der Qualität und der Fülle der Quellen, die Sie nutzen konnten, und werde das Werk in der Lehre einsetzen und empfehlen.” Prof. Dr. Michael Meyen, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, Ludwig-Maximilians-Universität, München

“Respekt. Ich werde es für unsere Bibliothek anschaffen und den Studenten empfehlen.” Prof. Dr. Gabriele Goderbauer-Marchner, Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt, Fakultät Allgemeinwissenschaften